Dienstag, 29. April 2008

Von Schwämmen und Körpern


(Ham IV.2) In dieser sehr kurzen Szene versuchen die beiden IM Wittenberg 1 und 2 den Leichnam des Polonius ausfindig zu machen. Sie, die Schwämme, scheitern selbst an solch einem simplen Auftrag. Hamlet wird persönlich und redet (wie einst Jesus) in gleichnishaften, alchymistischen Rätseln:
ROSENKRANZ. Sagt uns den Ort, daß wir ihn weg von da in die Kapelle tragen.
HAMLET. Glaubt es nicht.
ROSENKRANZ. Was nicht glauben?
HAMLET. Daß ich euer Geheimnis bewahren kann und meines nicht. Überdies, sich von einem Schwamme fragen zu lassen? Was für eine Antwort soll der Sohn eines Königs darauf geben?
ROSENKRANZ. Nehmt Ihr mich für einen Schwamm, gnädiger Herr?
HAMLET. Ja, Herr, der des Königs Miene, seine Gunstbezeugungen und Befehle einsaugt. Aber solche Beamte tun dem Könige den besten Dienst am Ende. Er hält sie wie ein Affe den Bissen im Winkel seines Kinnbackens; zuerst in den Mund gesteckt, um zuletzt verschlungen zu werden. Wenn er braucht, was Ihr aufgesammelt habt, so darf er Euch drücken, so seid Ihr, Schwamm, wieder trocken.

ROSENKRANZ. Ich verstehe Euch nicht, gnädiger Herr.
HAMLET. Es ist mir lieb: eine lose Rede schläft in dummen Ohren.

ROSENKRANZ. Gnädiger Herr, Ihr müßt uns sagen, wo die Leiche ist, und mit uns zum Könige gehn.
HAMLET. Die Leiche ist beim König, aber der König ist nicht bei der Leiche. Der König ist ein Ding —
GÜLDENSTERN. Ein Ding, gnädiger Herr?
HAMLET. Das nichts ist: bringt mich zu ihm. Versteck’ dich, Fuchs, und alle hinterdrein!
Hamlets kleine Narretei bildet (wie Jesus’ Salzfass) die Ausgangsbasis für ein gigantisches postmodernes Geschwurbel über die Herrschaften des Körpers und die Körperschaften der Herren.

Das Paradoxon von den Ersten und den Letzten findet sich schon in der Bibel, bsp. im Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg, Matthäus 20,16 So werden die Letzten die Ersten und die Ersten die Letzten sein.

Und wir singen den Psalm 144, Vers 3 und 4
HERR, was ist der Mensch,
dass du dich seiner annimmst,
und des Menschen Kind,
dass du ihn so beachtest?
Ist doch der Mensch gleich wie nichts;
seine Zeit fährt dahin wie ein Schatten.

Sonntag, 6. April 2008

Thalheimers Hamlet: Kritik der Kritik

WELT: Wenn tote Helden von der Bühne starren
Stefan Grund schreibt in der Welt: Triumphaler Hamlet, phänomenales Ensemble, Thalia Theater erste Wahl in Deutschland. Schöne Arabeske: „Gegen wen aber kann im Schach noch gewinnen, der schon vor Spielbeginn seinen König verlor?“ Anständiger, begeisterter Artikel, der auch noch Sachkenntnis beweist.

SPON: Auf der Couch mit Hamlet
In der recht wirren Kritik lässt Jenny Hoch das Wort Prozac auftauchen und gibt Hamlet den guten Ratschlag mit auf den Weg: „Würde er rasch ein paar Glückspillen einwerfen, sähe das Leben schon nicht mehr ganz so grau aus.“ Vielleicht sollte der Artikel doch lieber „Auf die Couch mit Jenny" heißen.

SZ/dpa: Michael Thalheimer verdichtet „Hamlet“
Die grandios überbewertete Süddeutsche Zeitung übernimmt einen Beitrag der Deutschen Presse-Agentur dpa und entlarvt sich selbst: „In gewisser Weise ehrlich sind noch Gertrud und Claudius in ihrer Liebesversessenheit. Selten ist das «böse Paar» so sympathisch und frei von Klischees gezeichnet worden.“ Wir bremsen auch für Diktatoren. - In dem nicht namentlich gekennzeichneten Artikel wird das verbotene Wort „quasi“ verwendet, weiterhin gibt es mehrfach Ironie-Anführungsstriche. Von der erwähnten Jubelfeier habe ich nichts bemerkt, es wurde zwar begeistert applaudiert, aber nicht so, dass der Hanseat seine Haltung verloren hätte.

Haha-Hamlet - Hat dieser Kerl kein Gefühl von seinem Geschäft? Er gräbt ein Grab und singt dazu

Karg war das Bühnenbild im Thalia-Theater, nur auf einem schachbrettartigen Parkett agierten die Gestalten, im Hintergrund wartete der Rest des Ensembles wie Auswechselspieler einer Eishockeymannschaft auf ihren Einsatz. Karg war die Ausstattung mit Kostümen: eine Unterhose der Ophelia fehlte, wie auch der BH für Königin Gertrude. Beim Auftritt des Geistes bekreuzigte sich eine Zuschauerin mit den Perlenohrsteckern, weniger vor Furcht, vermutlich eher aus Mitleid mit dem Penisschwinger.

Hamlets Sein-oder-Nichtsein-Monolog schien von den Teletubbies inspiriert: Nochmal, nochmal! Auf den verzweifelt Geschrieenen folgte der düster Geraunte. Das hört sich jetzt vielleicht etwas bösartig an, deshalb soll der Hamlet Hans Löw ausdrücklich über den grünen Klee hinaus gelobt werden. Schöne Stimme, kraftvoller Typ. Präsenz, Aura, Größe.

Da jede Hamlet-Inszenierung auch ein Spiegel der Zeit ist, verwundert es nicht, dass in dieser Inszenierung dem Polonius, Musterbeispiel eines wildgewordenen Bürokraten, der meiste Platz eingeräumt wird. Sein Bruch des Postgeheimnisses mit Verkündung des Hamletschen Vierzeilers „Zweifle an der Sonne Klarheit, Zweifle an der Sterne Licht, Zweifl’ ob Lügen kann die Wahrheit, Nur an meiner Liebe nicht“ wurde ausgewalzt und eingefaltet wie ein Hamburger Franzbrötchenteig und Gertrudens Einwurf „Mehr Inhalt wen’ger Kunst“ mit Szenenapplaus bedacht. Der sonst hervorragende Norman Hacker zeichnete reichlich Anleihen bei der Jim-Carrey-Bank für kinetische Kaspereien, aber was solls.

Und der wortgewandte intrigante Mörder und Blutschänder Claudius? Er hätte vor Hamburgs korrupten Richtern sicher Gnade gefunden, inklusive Asylrecht und bei vollem Bezug seiner königlichen Rente. Verkehrte Welt: Es steht Tragödie auf der Hamlet-Packung, doch die Leute sehen nur Comedy.

Trotzdem: ein guter, hochklassiger Theaterabend. (4 von 5)

Hamlet. Thalia Theater, Premiere Sa, 5. April 2008
Regie: Michael Thalheimer, Bühne: Henrik Ahr, Kostüme: Barbara Drosihn, Musik: Bert Wrede, Dramaturgie: John von Düffel – Darsteller: Hans Löw (Hamlet), Felix Knopp (Claudius, König), Victoria Trauttmansdorff (Gertrud, Königin), Norman Hacker (Polonius), Paula Dombrowski (Ophelia), Jörg Koslowsky (Laertes), Jan Dziobek (Der Schauspieler), Markus Graf (Geist, Hamlets Vater/Osrick), Moritz Grove (Rosenkranz), Andreas Köhler (Güldenstern), Peter Per (Reinhold)