
Selten war es der Fall, dass ausgerechnet Erz-Schurke König Claudius (Bitte mehr von: Matthias Reichwald) zum Helden des Hamlet wurde. Aber der Regisseur Tilmann Köhler konnte es aufgrund seiner Casting-Fehlkalkulationen oder sonstiger Planlosigkeit nicht verhindern. Ophelia als Berliner Göre war eigen, außer Konkurrenz und brach mit allen Traditionen, dafür konnte die großartige Julischka Eichel nichts … und niemand sie stoppen. Der schnoddrige „Ej, Sein oder Nichtsein“-Hamlet Max Simonischek wurde weder Stück noch Ensemble gerecht, nur beim finalen Wasserflaschenduell konnte der sonst Blasse glänzen.
Wasserflaschen statt Rapiere zum Duell hört sich merkwürdig an, kam aber, dank richtiger Action-Choreographie (Fechtmeister: Thilo Mandel), komplett unpeinlich rüber. (An dieser Stelle noch ein Hinweis auf das 1599 erschienene Fechthandbuch von George Silver Paradoxes of Defence - "Wherein is proved the true grounds of fight to be the short ancient weapons and that the short sword has advantage over the long sword or the long rapier. And the weakness and imperfection of the rapier-fights displayed. Together with an admonition to the noble, ancient, victorious, valiant, and most brave nation of Englishmen, to beware of false teachers of defence, and how they forsake their own natural fights. With a brief commendation of the noble science or exercising of arms.")
Sehr cool: Michael Klammer als Horatio! Endlich mal ein Schauspieler ohne diesen Waldorfschüler-Vegetarier-Körper. Ein physischer Typ, (Das ist ein physischer Typ! Schreib dir das hinter die Ohren, Waschlappen Tukur!) prädestiniert für große Heldenrollen.
Fazit: Gelungener Abend, nah am Text (dt. v. Heiner Müller), Action, frische Schauspieler, originelle Kostüme. 4 von 5 Rapieren.
Regie: Tilmann Köhler, Bühne: Karoly Risz, Kostüme: Susanne Uhl, Musik: Jörg-Martin Wagner, Dramaturgie: Andrea Koschwitz, Hamlet: Max Simonischek, Claudius/Geist: Matthias Reichwald, Gertrud: Antje Trautmann, Ophelia/Fortinbras Julischka Eichel, Horatio: Michael Klammer, Polonius: Ulrich Anschütz, Schauspielerin/Totengräber: Ursula Werner, Laertes: Franz Hartwig, Rosencrantz/Marcellus: André Kaczmarczyk, Guildenstern/Bernardo: Tilman Strauß, Hauptmann: Jörg-Martin Wagner. - Weitere Termine: So 16.11., Fr 19.12., Mo 29.12.08 www.gorki.de
Klickempfehlung: Die Nachtkritik „Standbilder aus dem Unterfutter des Bewußtseins“ von Nikolaus Merck, der ich den Begriff Generation Wasserflasche entnahm und sofort in den aktiven Wortschatz einverleibte.
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