Dienstag, 25. Mai 2010

Als Lehrling beim Dante-zitierenden Schlachter in der Toskana

»Wenn man in [Darios] Laden kam, wollte er nicht als Metzger gesehen werden, [ … ] aber er wusste, was man stattdessen sehen sollte: einen Künstler, dessen Thema der Verlust war. – Für mich war Panzano ein Dorf der toten Väter. Am Anfang betrachtete ich sie als Gespenster – wie ebenso viele Hamlets senior, die aus ihren Gräbern auferstehen und ihre Söhne drängen, Rache zu schwören oder zu geloben, dass sie irgendein unerledigtes Geschäft zu Ende führen. Und wie Hamlet junior konnte ich nicht sagen, ob die Gespenster gute oder böse waren. Jetzt, nach fast sechs Monaten in dem Laden, sah ich sie weder als gut noch böse an, sondern nur als nervige, tattrige Existenzen: lästige Patriarchen, die sich weigerten, ihren Tod zu akzeptieren. Schleicht euch, ihr widerlichen alten Bastarde! Bleibt in euren Gräbern und lasst eure Kinder in Ruhe!«

Bill Buford (2006) Heat. An Amateur’s Adventures as Kitchen Slave, Line Cook, Pasta-Maker, and Apprentice to a Dante-Quoting Butcher in Tuscany. dt.: Hitze. Übersetzt von Dinka Mrkowatschki. (Kapitel 26).

Sonntag, 1. Februar 2009

Das Hamlet-Mem - Zum Tode von John Updike


Am 27. Januar 2009 starb der große amerikanische Schriftsteller John Updike im Alter von 76 Jahren. Hierzulande dürfte er durch die Verfilmung der Hexen von Eastwick den Menschen in Erinnerung bleiben, für die Hamletmaschine steht jedoch sein im Jahr 2000 erschienener Roman Gertrude and Claudius (dt. Übers. 2001 erschienen bei Rowohlt) im Vordergrund.

Updike erzählt die Vorgeschichte zu Shakespeares Hamlet, der Dänenprinz, mit dem Schwerpunkt auf der inzestuösen Beziehung aus Staatsräson zwischen Hamlet-Mutter Gertrude und Hamlet-Onkel und Brudermörder Claudius; Updikes Roman endet, wo das Drama beginnt.

Es charakterisiert solche Narrativ-Universen, wie auch bei Rosencrantz and Guildenstern are Dead von Tom Stoppard, dass, Nebenfiguren ausgebaut werden und auf diese Art und Weise die Vorlage neu interpretieren. Man kann es das Wirken des Hamlet-Mems nennen.

Die Seite der Feuilletonblogger perlentaucher.de referiert die Kulturteilrezensionen der großen deutschsprachigen Zeitungen. Dass die Frankfurter Rundschau nicht so begeistert scheint, gilt der Hamletmaschine als besondere Empfehlung.

Inhaltsangabe: Perlentaucher
Der Link zu Amazon: Gertrude und Claudius, dt. v. Maria Carlsson
John Updike (1932-2009): De.Wikipedia

Donnerstag, 6. November 2008

Harald im Fegefeuer


In Stuttgart gab es einen viel besprochenen und ausverkauften „Hamlet“ mit dem Late-Night-Talker Harald Schmidt in der Rolle des Polonius, des Geistes und des skelettierten Yorick. Ein Kritiker raunte, es gebe immer mal wieder Aufführungen, bei denen sich Ensemble und Publikum gegen die Kritik verschwörten. Dies war so eine.

Der Prinz von Dänemark - ein Musical von und mit Harald Schmidt. Regie: Christian Brey, Bühne: Elisa Limberg, Kostüme: Petra Bongard, Choreografie: Bridget Breiner, Kampfchoreografie: Klaus Figge. Mit: Martin Leutgeb (Claudius), Benjamin Grüter (Hamlet), Harald Schmidt (Polonius, Geist, Bote, Schädel), Thomas Eisen (Horatio, Rosenkranz, Totengräber), Sebastian Schwab (Laertes, Güldenstern, Bernardo, Totengräber), Marietta Meguid (Gertrude), Lilly Marie Tschörtner (Ophelia) sowie Jean Pierre Barraqué, Max Braun, Matthias Klein und Andreas Zbik (Band Fort'n'Brass). Premiere 25.10.2008, weitere Termine 8.11., 30.11. 1.12., 5.12.08 www.staatstheater.stuttgart.de

Beste Kritik: „Monty Python statt Burgtheater“ von Ralf-Carl Langhals auf Nachtkritik.de mit Meta-Feuilleton (und dem tobenden Pöbel in der Kommentarfunktion, der zum Boykott der - ausverkauften - Vorstellung aufruft).

Samstag, 25. Oktober 2008

Läuterungen



Befinde mich zur Zeit in der Lektüre. Stephen Greenblatt (*7.11.1943), Begründer des New Historicism, Autor der Shakespeare-Biographie „Will in der Welt“ und multimedialer Tausendsassa (Hat Tip: Blogging the Renaissance), schrieb „Hamlet im Fegefeuer“, erschienen bei Suhrkamp in altdeutscher Rechtschreibung. Erläutert den geistesgeschichtlichen Hintergrund der Hamletschen Geisterscheinungen. In ungleichmäßigem Tempo: Mal werden Bibliographien kommentiert, mal erleben wir Greenblatt beim Exzerpieren.

Es beginnt im Mittelalter. Um 1180 verfasst der Mönch H. von Sawtry den Tractatus de Purgatorio Sancti Patricii (Das Fegefeuer des heiligen Patrick), der sich zu einem Bestseller des Mittelalters entwickelt. Insbesondere in den landessprachlichen Übersetzungen. Greenblatt bearbeitet die mittelenglische Coverversion, das Owayne Miles. Achtung, Spoiler! Der Eingang zum Fegefeuer (Purgatorium) befindet sich in Irland, in der Grafschaft Donegal bei Lough Derg.

Montag, 20. Oktober 2008

Jagoisierung des Hamlet durch die Generation Wasserflasche jetzt im Maxim Gorki Theater


Selten war es der Fall, dass ausgerechnet Erz-Schurke König Claudius (Bitte mehr von: Matthias Reichwald) zum Helden des Hamlet wurde. Aber der Regisseur Tilmann Köhler konnte es aufgrund seiner Casting-Fehlkalkulationen oder sonstiger Planlosigkeit nicht verhindern. Ophelia als Berliner Göre war eigen, außer Konkurrenz und brach mit allen Traditionen, dafür konnte die großartige Julischka Eichel nichts … und niemand sie stoppen. Der schnoddrige „Ej, Sein oder Nichtsein“-Hamlet Max Simonischek wurde weder Stück noch Ensemble gerecht, nur beim finalen Wasserflaschenduell konnte der sonst Blasse glänzen.

Wasserflaschen statt Rapiere zum Duell hört sich merkwürdig an, kam aber, dank richtiger Action-Choreographie (Fechtmeister: Thilo Mandel), komplett unpeinlich rüber. (An dieser Stelle noch ein Hinweis auf das 1599 erschienene Fechthandbuch von George Silver Paradoxes of Defence - "Wherein is proved the true grounds of fight to be the short ancient weapons and that the short sword has advantage over the long sword or the long rapier. And the weakness and imperfection of the rapier-fights displayed. Together with an admonition to the noble, ancient, victorious, valiant, and most brave nation of Englishmen, to beware of false teachers of defence, and how they forsake their own natural fights. With a brief commendation of the noble science or exercising of arms.")

Sehr cool: Michael Klammer als Horatio! Endlich mal ein Schauspieler ohne diesen Waldorfschüler-Vegetarier-Körper. Ein physischer Typ, (Das ist ein physischer Typ! Schreib dir das hinter die Ohren, Waschlappen Tukur!) prädestiniert für große Heldenrollen.

Fazit: Gelungener Abend, nah am Text (dt. v. Heiner Müller), Action, frische Schauspieler, originelle Kostüme. 4 von 5 Rapieren.

Regie: Tilmann Köhler, Bühne: Karoly Risz, Kostüme: Susanne Uhl, Musik: Jörg-Martin Wagner, Dramaturgie: Andrea Koschwitz, Hamlet: Max Simonischek, Claudius/Geist: Matthias Reichwald, Gertrud: Antje Trautmann, Ophelia/Fortinbras Julischka Eichel, Horatio: Michael Klammer, Polonius: Ulrich Anschütz, Schauspielerin/Totengräber: Ursula Werner, Laertes: Franz Hartwig, Rosencrantz/Marcellus: André Kaczmarczyk, Guildenstern/Bernardo: Tilman Strauß, Hauptmann: Jörg-Martin Wagner. - Weitere Termine: So 16.11., Fr 19.12., Mo 29.12.08 www.gorki.de

Klickempfehlung: Die Nachtkritik „Standbilder aus dem Unterfutter des Bewußtseins“ von Nikolaus Merck, der ich den Begriff Generation Wasserflasche entnahm und sofort in den aktiven Wortschatz einverleibte.