Freitag, 29. Juni 2007

Saisonabschluss


Die Editors singen An End has a Start. Auch ein Ende fängt mal an. Das gilt auch für Lisa Politts Polittbüro in St. Georgistan. Drei Abende lang feiert sie die gelungene Saison plus Vertragsverlängerung. Den ersten dieser Abende bestritt die junge, nölende Slam-Poetin Xochil (32) mit Hasstiraden gegenüber Mittvierzigern. Aufschlussreich waren ihre Beobachtungen über die Ladies Night im Sausalitos. (Die 20-Jährigen mit den teuersten Klamotten und dem billigsten Parfum kommen zuerst rein.) Dann begeisterte der Zwei-Sätze-eine Nummer-Pianist Marco Tschirpke und schließlich verkündete Herrchens Frauchen „I bin a Wettafrosch“. Und zum Abschluss spielten ganz überraschend Die Sterne den leisesten Gig ihrer Bandgeschichte, gerade mal ein gutes Dutzend Fans und Bekannte hatten die Mini-Notiz in der Szene Hamburg richtig gedeutet. Ein sehr intimes, bezauberndes Konzert. - Heut noch und morgen mit anderem Line-Up. Hingehen. PS: Es gibt ein Freigetränk auf die Eintrittskarte.

Donnerstag, 28. Juni 2007

„Ich glaube eher an die Unschuld einer Hure … “


Vielleicht hätte Nils Werner, Richter am Amtsgericht Altona, doch besser Sozialpädagoge, StudeIeRenDEn/innen-Pfarrer oder gleich Karnevalist werden sollen. Er hegt „moralische Sympathie“ und unterstellt „achtenswerte Motive“ (zit. n. MOPO, 27.6.07), der Rädelsführerin und Immernoch-Studentin Irene H. (30, re.). Mit der Zahlung von lächerlichen 750 Euro ist die Anführerin einer präterroristischen Zelle rehabilitiert und wird nie wieder Waren für 600 Euro (1500 Euro, so die MOPO in der Vorwoche) rauben.

Man vergleiche bitte dieses Urteil mit den Hängt-Sie-höher-Kommentaren der MOPO über Paris Hilton, die für wiederholtes „Autofahren nach Genuss einer Mon-Cherie-Praline“ über einen Monat Knast bekam.

Dienstag, 26. Juni 2007

Darüberhinaus



Worüber ich noch was sagen wollte: Über Shakespeares „Viel Lärm um nichts“ im Thalia-Zelt mit Mofas, Motten und Magie; über Rainald Goetz, Jeff Koons, Jeff Koons und Matussek; über die Arctic Monkeys, ihr schönes Plakat und ein dringend nötiges Festivalsurvivalpaket, das nicht ankommt; über den Salonbolschewisten Daniel Richter, den zurzeit teuersten lebenden Künstler Damien Hirst (s.o.) und Otto Dix als Radio-Dada. Über Schwäne, Kormorane, Uferschwalben und die Wiederkehr des Haussperlings. Über Nose-Slides, Ollis und Skaterjungs. Über Mädchen mit Kreolen, E-Mail-Rentnern und Junglehrern, die „100 Prozent“ arbeiten. (Sie sind fertig!) Über köstliche indische Hähnchengerichte, japanische Mittagsmenüs und den großartigen 1-Euro-Cheeseburger von McDonalds.

Ein Kühlwagen einer Sushi-Kette fährt durch die Stadt, zu erkennen an der Klimaanlage auf dem Dach. Der Wagen ist schnieke sauber, halbwegs neu, etwas größer als ein Familien-Van. Und ich denke: Der kommt jetzt vom Fischmarkt und beliefert die Filialen. - Und ich denke an die schrottreifen, verdreckten Transporter, die im Schanzenviertel vor den Gemüsetürken stehen.

Nach grauen Tagen


Der heutige Tag, verregnet, trieb mich in die Buchhandlung. Nichts bei den Klassikern, nichts in der Lyrik-Ecke, die doch nur die Erotik-Abteilung abschirmen soll. Da war doch was? 25. Juni 1926, Ingeborg Bachmanns Geburtstag. (Die Buchhandlung verließ ich mit dem Fragebogen ihres Ex-Geliebten Max Frisch.)

NACH GRAUEN TAGEN
Eine einzige Stunde frei sein!
Frei, fern!
Wie Nachtlieder in den Sphären.
Und hoch fliegen über den Tagen
möchte ich
und das Vergessen suchen – – –
über das dunkle Wasser gehen
nach weißen Rosen,
meiner Seele Flügel geben
und, oh Gott, nichts wissen mehr
von der Bitterkeit langer Nächte,
in denen die Augen groß werden
vor namenloser Not.
Tränen liegen auf meinen Wangen
aus den Nächten des Irrsinns,
des Wahnes schöner Hoffnung,
dem Wunsch, Ketten zu brechen
und Licht zu trinken – – –
Eine einzige Stunde Licht schauen!
Eine einzige Stunde frei sein!
Ingeborg Bachmann, 1944

Auch und besonders für Gilad Shalit, seit einem Jahr und einem Tag Geisel von Terroristen.

Vom nahen Ende







Eine Kreuzberger Gruppenausstellung mit Friedel Kantaut nähert sich ihrem Ende. Noch bis zum Freitag, den 29. Juni 2007 kann man im „Büro für innere und äußere Angelegenheiten“, Manteuffelstr. 42, Berlin, Kantauts groß-querformatigen Fotobearbeitungen einkaufen, ab 20 Uhr mit den anwesenden Künstlern trinken. Nicht vergessen: Kunst ist das neue Öl. Und Öl das alte Gold.

Am Straßenrand sitzt der Rest des Mannes, der seine Arme und Beine in einem Selbstmordversuch gegen die U-Bahn verloren hat und kotzt seine Wut in die Castingzone. Ein paar Meter weiter hockt ein Künstler auf einer Treppenstufe mit drei kleinen Collagen vor sich, mitten im Sommer vermummt und versteckt unter einer privaten Schneewehe. Oft habe ich beide gesehen und ihre Argumente geahnt, die ich heute wie Flyer vom Fußweg vor ihnen pflücke. „Bei zwei Depressionen bekommen Sie eine dritte gratis.“ Weiter. Vorbei an Straßencafés, die wie Wellenbrecher mein Fortkommen behindern. Möwenbänke, gestylte Citypinguine, Robben, die ihre Paarung vorbereiten. Riffpiraten, die falsche Leuchtfeuer setzen, an Bordsteinkanten gestrandete Havaristen. (Kantaut 2005, Cocktailtrinker … )