Sonntag, 30. Dezember 2007

Ophelia - Was ist in deinem Namen?


Zweifellos, Ophelia klingt griechisch. Manfred Pfister übersetzt den Namen in seinem Essay Hamlet und kein Ende mit „Beistand“ oder „Hilfe“, um sich sodann in die Gefilde des Nachlebens der Wasserleiche zu begeben.
Harold Jenkins, Herausgeber des Arden-Shakespeare, hingegen gab seinem Zweifel an der Angemessenheit der Namensbedeutung noch Ausdruck. Er weist auch die Anspielung auf den männlichen Ofelia aus Sannazaros Arcadia aus dem Jahr 1502 zurück. Jenkins richtet das Augenmerk auf ein zeitgenössisches Werk — Ben Jonsons 1600 aufgeführte Satire Cynthia’s Revels. Aufgeführt ausgerechnet von jenen Kinderschauspielern, über die Rosenkranz klagt, »es hat sich da eine Brut von Kindern angefunden, kleine Nestlinge, die immer über das Gespräch hinausschrein und höchst grausamlich dafür beklatscht werden. Diese sind jetzt Mode und beschnattern die gemeinen Theater … « (II.2) Und so stellt Ben Jonson seine Apheleia vor:
The fourth, in white, is Apheleia, a nymph as pure and simple as the soul, or as an abrase table, and is therefore called Simplicity; without folds, without plaits, without colour, without counterfeit; and (to speak plainly) plainness itself. Her device is no device. The word under her silver shield, “omnis abest fucus”; alluding to thy spotless self, who art as far from impurity as from mortality. (Quelle)

Sancta Simplicitas! Dies ist (liebe Schöler) die grobe Charakterisierung der Ophelia: Einfältigkeit! Der Wappenspruch heißt, soweit ich mit meinem Biologenlatein nicht am Ende bin, nicht etwa „Seetang komplett entfernt“ sondern eher „Alles abgeschminkt“.

UK-Wiki: Ben Jonson, Cynthia’s Revels
D-Wiki: Jacopo Sannazaro

Shakespeare vs. Goethe

Der Weihnachtsmann spielte mir ein ebenso amüsantes wie kluges Buch des ex-hawaiianischen Mediävisten Eric T. Hansen in die Hände. Es heißt „Deutschlandquiz - Alles, was sie über dieses Land wissen sollten und nie zu fragen wagten“. Neben spannenden Themen wie der deutschen Aussterbeangst und dem Tagesablauf eines Stasi-Rentners widmet Hansen sich auch der ganz hohen Literatur:
Kann es sein, dass Deutschland und England zwei verschiedene Literaturtraditionen vertreten? …
Shakespeare schrieb für seinen Lebensunterhalt. Er war Freiberufler und auf zahlendes Publikum angewiesen. Er musste Geschichten finden, die seinen Zuschauern gefielen; Figuren, die es schafften, jedem zu Herzen zu gehen, ob gebildet oder nicht.
Goethe ließ sich zwar gern von seinen Verlegern entlohnen, das machte aber nur ein Drittel seines Einkommens aus. Der Löwenanteil stammte aus Familienvermögen und aus seiner geheimratlichen Tätigkeit. Auf ein zahlendes Publikum war er nicht angewiesen. Er schrieb aus anderen Gründen: für das Renommee vielleicht, womöglich für die eigene Unterhaltung oder einfach um der Kunst willen.
Deutsche kritisieren gern den Hang mancher englischen und amerikanischer Bestsellerautoren zum Kommerz, doch wir finden es ehrenvoll, unseren Wert an verkauften Exemplaren zu messen. Den Deutschen reicht das nicht - sie wollen mehr, sie streben nach intellektuellen Hochleistungen. Kommerz erscheint ihnen als Kompromiss und als Sünde gegen die Kunst. Beide Einstellungen entstammen den Erzähltraditionen ihrer Länder und werden von den jeweiligen Vorbildern Shakespeare und Goethe verkörpert. (Eric T. Hansen)
Selten hat mir jemand so sehr aus der Seele gesprochen.

Mittwoch, 19. Dezember 2007

Ophelische Lieder



(Ham. IV.) „Im folgenden sehen wir einen der berühmtesten Auftritte der dramatischen Literatur: die wahnsinnige Ophelia. Sie ist völlig durcheinander. Sie erscheint mit lose; herunterhängendem Haar; ausgestattet mit einer Laute, singt sie unzusammenhängende Bruchstücke aus verschiedenen Balladen.“1

Fünf Lieder singt Ophelia. „Wie erkenn’ ich dein Treulieb“, „Sein Leichenhemd, weiß wie Schnee“, „Auf morgen ist Sankt-Valentins-Tag“, „Sie trugen ihn auf der Bahre bloß“ sowie „Und kommt er nicht mehr zurück?“ Die deutsche Romantik, besser: Johannes Brahms, hat den Wahnsinn vertont, hat die einfachen Lieder den kunstvollen Arien vorgezogen. Heutzutage dirigiert Daniel Barenboim und Jessye Norman singt. Die CD der Deutschen Grammophon ist „im Handel“ erhältlich, bei iTunes pret-a-porter digitalisiert. Tolle Sache. - Aber: da in England anscheinend nichts weggeschmissen wird, konnte man einige Vorbilder der Ophelia-Lieder identifizieren. How should I your true love know geht auf eine beliebte Ballade der Walsingham-Pilger zurück. Von dieser Ballade ist sowohl Text als auch Melodie bekannt, die als Walsingham Tune bekannt ist. Ein Midi-File gibt es auf der Seite The Music of the Sixteenth Century Broadside Ballad von Greg Lindahl.

[Hey, this my second link to his website, Greg starts with a Kenneth Rexroth quote, and links to Operation Clambake. He is without doubt a cool guy.]

1 Schwanitz, Shakespeares Hamlet, p 110

Sonntag, 16. Dezember 2007

Wat is en Hamletmaschin’?


Wat ham mer denn dran? Ah, die müllersche Hamletmaschin’. Wat is en Hamletmaschin’? Da stell mer uns janz dumm. Und sagen en Hamletmaschin’ is en dünne schwarze Mann. Und der hat zwei Löcher im Kopp. In den einen geht der Geist rein und aus dem anderen kommt der Königsmord raus. Dat zweite kommt später, dat steht auch im Buch, wie überhaupt alles im Buch steht.

Walsers Schwarzschwan


Ein Stück, das angeblich „im Dialog“ mit „Hamlet“ stünde, soll Walsers “Schwarzer Schwan“ sein. Antiquarisch findet man gelegentlich eines von den Suhrkamp-TB. Erster Eindruck: Langweiliger, hysterischer Schrott, so unerträglich wie deutsches Fernsehen des Jahres 1964. Lesenswert hingegen sind Karaseks Erinnerungen an die Premiere annodazumal. „Der ewige Antisemit?“

„Im Dialog“ - ha! Als könnte Shakespeare antworten. Im günstigsten Fall ist ein „Aufspringen auf den Zug“, im Regelfall ein „Schmücken mit fremden Federn“ und was bleibt übrig, wenn man den Schwan gerupft hat? Noch nicht mal mehr ein Suppenhuhn!

Samstag, 15. Dezember 2007

Wahnsinn!

Jener Maniac, der Tobsüchtige, wie er schon bei Mk 5,2-5 prototypisch beschrieben wurde, fand sich auf dem Frontispiz der „Anatomy of Melancholy“ (Robert E. Burton,1621), die ich hier nur mal eben verlinken wollte. Wahnsinn!

Goethens Rip-Off


Dank gebührt Michael Thalheimer, der die billige, lahmarschige dramatische Struktur des „Faust“ in seiner Inszenierung für das Deutsche Theater so erbarmungslos offengelegt hat.
   Beeindruckend: die Reduktion der Walpurgnisnacht auf einen luftgitarrespielenden Faust zu Deep Purples „Child of Times“. Statt Myriaden von Stimmen Myriaden von Lichtreflexen.
   Davor: Der hamleteske Selbstmord-Monolog „Habe nun ach, ... blabla“ vs. „Sein oder nicht sein“.
   Danach: die wahnsinnige Schöne, Margarete-Ophelia, die ihr wirres Lied singt (Meine Mutter, die Hur / Die mich umgebracht hat! / Mein Vater, der Schelm, / Der mich gessen hat! / Mein Schwesterlein klein / Hub auf die Bein / An einem kühlen Ort; / Da ward ich ein schönes Waldvögelein, /Fliege fort, fliege fort! - Das Goethe bei den Grimms und somit bei P.O. Runge stahl. [H. Zimmermann])
   Nie war Goethens gescheiterter Versuch, Shakespeare zu übertrumpfen, so offensichtlich.

Nur freuen kann man sich auf den April 2008. Dann zieht Regisseur Thalheimer triumphierend ins Hamburger Thalia Theater ein, mit einer „Hamlet“-Inszenierung, die sich hoffentlich gewaschen haben wird. You'd better close your eyes and bow your head - And wait for the ricochet.

Freitag, 14. Dezember 2007

Wermut, Wermut

Absinth, Pflanze des Fin de siecle
Zuerst hielt ich „Wormwood, wormwood“ aus der Mausefalle, dem unerträglichen Stück im Stück, für ein simples Anglerutensil, ein Wurmholz. Ein Holz, das man schräg in den Erdboden steckt, mit den Fingern darauf trommelt, mit der Absicht die Regenwürmer heraus zu locken. - Aber dann war es doch das Kraut, der Wermut, Absinthium spec., heute Artemisia absinthium. (Diana-Verehrer Will hätte sich gefreut!) Seit biblischen Zeiten ist der Wermut ein Synonym für die Bitterkeit (chemisch: beta-Thujon). Leider macht diese Bedeutung „Das ist bitter!“ die Stelle III.2,178 nicht unbedingt verständlicher.

Eine Annäherung an das apokalyptische Kraut der Anti-Mütter versuchen Hassel, R. Chris, Jr. “Wormwood, Wormwood.” Deutsche Shakespeare-Gesellschaft West: Jahrbuch [no vol. #] (1993): 150-62. zitiert nach Hamlethaven.com. (Dort auch ein kleines Abstract.)

Die Wermut-Bibelstellen führt akribisch auf: Bibelpflanzen.de, ein Projekt des renommierten botanischen Fachverlags Ulmer.