Sonntag, 6. Januar 2008

Guter Vorsatz

Wer Shakespeare wahrhaftig verstehen möchte,
der muss gleichfalls verstehen,
in welcher Beziehung Shakespeare zu Renaissance und Reformation stand,
zum elisabethanischen wie jakobäischen Zeitalter;
der sollte vertraut sein mit der Geschichte des Kampfes um die Vorherrschaft zwischen den alten klassischen Formen und dem neuen Geist der Romanzen,
zwischen der Schule eines Sidney, Daniel und Johnson und der Schule des Marlowe oder seines bedeutenderen Sohnes;
der sollte Kenntnisse verfügen über die Stoffe, die Shakespeare zur Verfügung standen, und die Art und Weise, wie er sie benutzt hat,
Kenntnisse über die Bedingungen unter denen im 16. und 17. Jahrhundert sich Theater darstellte, die Einschränkungen und Möglichkeiten der Freiheit,
Kenntnisse über die Literaturkritik zur Shakespearezeit, ihre Ziele, die Art und Weise, und ihren Kanon;
der sollte die englische Sprache in ihrem Wandel und Fortschritt studieren, den Blankvers und gereimte Verse in in ihren vielfältigen Entwicklungen;
der sollte das griechische Drama studieren, und die Verbindung des Schöpfers des Agamemnon mit dem Schöpfer des Macbeth;
in einem Wort, er sollte in der Lage sein, das Athen des Perikles mit dem elisabethanischen London zu verknüpfen, - um Shakespeares wahre Stellung in der Geschichte des europäischen Dramas und des Welttheaters zu erfassen.
Oscar Wilde, The Critic as Artist, 1891.

Keine Kommentare: