Sonntag, 29. Juni 2008

Unterirdische Monologe


Ich bin deines Vaters Geist:
Verdammt auf eine Zeitlang, nachts zu wandern,
Und tags gebannt, zu fasten in der Glut,
Bis die Verbrechen meiner Zeitlichkeit
Hinweggeläutert sind.
(Ham. I.5.9-13)

Man sagt, so Gottfried Helnwein, ab 70 halte ein Mann nur noch Monologe. - Zwei frühe Gestalten taten bereits ab 50 so, als würden sie miteinander reden. Zusammen bildeten sie die Waldorf-und-Statler-Eiterbeule am Gesäß des Privatfernsehens. In der linken Ecke, der Besserwessi, das Über-Ich der BRD, der filmende Rechtsanwalt Alexander … Kluuuuuuuge. Und in der rechten Ecke, mit der Havanna, der Superossi, der Epigone Brechts, Raucher, Regisseur und Republiknichtflüchtling Heiner Müüüüüüller.

Die gesammelten Perlen unfreiwilliger Tragikomik gibt es auf einer Website der Cornell University Library. Hier: Gespräche zwischen Heiner Müller und Alexander Kluge

Alas, poor ghost.

Hamlets geheime Freimaurerzeichen?


Den Freunden will ich weit die Arme öffnen
Und wie der Lebensopfrer Pelikan
Mit meinem Blut sie tränken.
(Ham. IV.5.145)

War Hamlet ein Freimaurer? Sicher nicht. Die Männergebetsvereine von 1717 ff, die Geodreieck und Zirkel im Wappen führen, suchten aber gern nach vorzeitlicher Legitimation und heiligen Texten. Und Goethe, der schlimmste der Schaumschläger, hilft gerne aus. Stichwort: Wilhelm Meisters Lehrjahre, die Turmgesellschaft. Der Bildungsweg. You know.

Aber dass George W. Bush ein freemason ist, das konnte Leonard Zelig in seinem Blog Wind in the Wires schon 2007 zweifelsfrei nachweisen.

Wiki: Lehre vom vierfachen Schriftsinn

Bodycount während der Hamletmaschine

Die Hamletmaschine blieb noch eine Theaterkritik schuldig, und zwar die der Gotscheffschen Hamletmaschine am Deutschen Theater in Berlin. Positiv: Dimiter „Mitko“ Gotscheff sieht sehr gut aus auf seine alten Tage mit seinem vollen langen Weißhaar. Negativ: der Rest.

Obwohl das Stück nur eine knappe Stunde dauerte, musste man gegen die Langeweile und schlimmer noch den Schlaf ankämpfen. Das Bühnenbild bestand aus zehn Einsparungen, Gräbern, und unwillkürlich zählte man die Toten bei Hamlet, kam aber nur auf neun. Der kleine Khuon faselte etwas, das sich wie Kapitalismuskritik ausnahm. Unter Deutscher Bank und Coca-Cola macht es der Salonbolschewist ja nicht. Die arme Ophelia/Elektra Valery Tscheplanowa musste sich die Stimme ruinieren, in dem sie in ein hochgehängtes Überkopf-Mikro schrie. Die geschundene Valery übernahm den Blixa-Kreisch-Part, konnte deshalb nicht an die göttliche Gudrun Gut heranreichen, deren einzigartige Stimme nebst angeborener Coolness jeden Scheißtext in literarische Höhen katapultiert.

Toller Trick: Wie schon bei seiner „Tartuffe“-Inszenierung, in das Gotscheff den Elektra-Spruch »Hier spricht Elektra. Im Herzen der Finsternis. Unter der Sonne der Folter. An die Metropolen der Welt. Im Namen der Opfer. Ich stoße allen Samen aus, den ich empfangen habe. Ich verwandle die Milch meiner Brüste in tödliches Gift. […] etc« hineinwebte, werden zusammenhanglose Texte anderen Copyrights in die Aufführung hineingesprochen. Das Publikum wundert sich, die VG Wort zahlt doppelt.

Sonntag, 22. Juni 2008

Heine zur EM


Franzosen und Russen gehört das Land,
Das Meer gehört den Briten,
Wir aber besitzen im Luftreich des Traums
Die Herrschaft unbestritten.


Heinrich Heine: Deutschland, ein Wintermärchen. Hoffmann & Campe 1844

Hat Tip: Legendary Matussek: SPONKU

Sonntag, 8. Juni 2008

Ophelia und die Weiden - Perdita Iuventus


Wieder einmal bleibt man während der Hamlet-Lektüre an etwas rein Pflanzlichem hängen - der romantischen Weide am Wasser. Doch romantisch wurde sie erst durch Shakespeare selbst und die Romantiker. Wie aber sah man zu Shakespeares Zeiten (vor Shakespeare) die Weide?

Einfach ist die Botanik nicht in der Zeit vor Linné, dem alten Schweden. Fuchs’ Kräuterbuch beschrieb gerade mal drei Weiden-Gruppen: die einen, die anderen und die kleinen. Da ist man heute schon weiter und unterscheidet scharfsinnig zwischen rund zwanzig verschieden Spezies der Gattung Salix. Doch bei Shakespeare waren die Arten noch zu einem einzigen Begriff verschmolzen. Die Salweide mit den grauen Blättern, die Bruchweide, die über den Fluss hängt; die Korbweide, aus der man Körbe flechtet: alles war ein Weidenbaum.

Die Königin Gertrude wird zur Botin, wenn sie vom Tode der Ophelia (Ham 4.7.164 ff.) berichtet:
There is a willow grows askant the brook
That shows his hoary leaves in the glassy stream.
Therewith fantastic garlands did she make
[…] There … an envious sliver broke,

Es neigt ein Weidenbaum sich übern Bach
Und zeigt im klaren Strom sein graues Laub
Mit welchem sie phantastisch Kränze wand
[…] Dort … zerbrach ein falscher Zweig,
[Zum Verständnis: Ophelia geht zur Weide, um mit den Zweigen der Weide einen Kranz zu flechten. In den die anderen Blumen erst eingeflochten werden sollten.]

Die Weide wird unter Berufung auf Othello als Symbol für die enttäuschte Liebe gesehen, doch eine andere, tradierte Bedeutung, die auf Homers Odyssee (X.510) zurückgeht, und die in zeitgenössischen Emblemata aufgegriffen wird, verdient der Erwähnung. Die Weide steht nach Homer auch für Unfruchtbarkeit oder gar verlorene Frucht, wie es beispielsweise in dem Emblem PERDITA IUVENTUS (B. Aneau, Picta poesis 1552) ausgedrückt wird.
Frugisperda Salix, cui dat circunfluus humor
Nutrimen, calamos inter arundineos.
FILIUS est cui patris opes alimenta ministrant,
Ut fluat in molles undique delicias.
Inter adulantum pulchras specie, sed inanes
Turbas, blanditiae flexilis & Coracas.
Aetatis cum flore suae qui semina perdens
Virtutum: nulla posteà fruge valet.

Damned Youth - The fruitless willow, fed by water that flows around it among the reedy rushes, is a boy for whom his father’s wealth secures a living, so that he can lose himself in sweet delights of all sorts, amenable to flattery among crowds of flatterers and ravens, fine to look at but empty. He loses with the flower of his beauty the seeds of virtue; later, he will produce no fruit.

Vertane Jugend - Die fruchtverderbende Weide, welcher das herumfließende Wasser Nahrung gibt zwischen dem Schilfrohr, sie ist der Sohn, den des Vaters Mittel reichlich versorgen, so daß er ringsum in weichem Genuß zerfließt zwischen den Scharen der Schmeichler, die schön anzusehen, doch nichtswürdig sind, und den umgarnenden, wendigen Corax-Jüngern. Wer in der Blüte seiner Jahre den Samen der Tugend verliert, wird später niemals Frucht bringen.
Das frugisperda ist eine Übertragung aus dem Griechischen, es ist Homers clesakarpoj. Doch bereits beim perda griff man bereits wieder auf die klassische Mythologie zurück, zu finden in den Metamorphosen Ovids: Das Rebhuhn perdix, das die Höhe fürchtet und deshalb nur dicht am Boden bleibt, entstand aus dem 12-jährigen Neffen des Daedalus, den dieser aus Eifersucht über die Erfindung von Säge und Zirkel von der Klippe stieß. Ovid Met. IIX.236-259 »Daedalus wurde neidisch, stürzte ihn kopfüber von Minervas heiliger Burg und gab vor er sei ausgeglitten. Doch Pallas, die begabten Menschen gewogen ist, fing ihn auf, machte ihn zum Vogel und gab ihm mitten in der Luft ein Federkleid. Aber die Kraft seines einst so beweglichen Geistes ging in die Flügel und Füße über. Der Name blieb derselbe wie vorher.«

In der Zeit religiöser Auseinandersetzungen ist selbstredend auch die christliche Symbolkraft eines unfruchtbaren Baumes (wie vermeintlich auch der Weide) von Bedeutung. Da klingen primär die donnernden Worte von Johannes dem Täufer im Matthäus- und Lukas-Evangelium nach: Es ist schon die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt. Darum: jeder Baum, der nicht gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen.