
Wieder einmal bleibt man während der Hamlet-Lektüre an etwas rein Pflanzlichem hängen - der romantischen Weide am Wasser. Doch romantisch wurde sie erst durch Shakespeare selbst und die Romantiker. Wie aber sah man zu Shakespeares Zeiten (vor Shakespeare) die Weide?
Einfach ist die Botanik nicht in der Zeit vor Linné, dem alten Schweden. Fuchs’ Kräuterbuch beschrieb gerade mal drei Weiden-Gruppen: die einen, die anderen und die kleinen. Da ist man heute schon weiter und unterscheidet scharfsinnig zwischen rund zwanzig verschieden Spezies der Gattung Salix. Doch bei Shakespeare waren die Arten noch zu einem einzigen Begriff verschmolzen. Die Salweide mit den grauen Blättern, die Bruchweide, die über den Fluss hängt; die Korbweide, aus der man Körbe flechtet: alles war ein Weidenbaum.
Die Königin Gertrude wird zur Botin, wenn sie vom Tode der Ophelia (Ham 4.7.164 ff.) berichtet:
There is a willow grows askant the brook[Zum Verständnis: Ophelia geht zur Weide, um mit den Zweigen der Weide einen Kranz zu flechten. In den die anderen Blumen erst eingeflochten werden sollten.]
That shows his hoary leaves in the glassy stream.
Therewith fantastic garlands did she make
[…] There … an envious sliver broke,
Es neigt ein Weidenbaum sich übern Bach
Und zeigt im klaren Strom sein graues Laub
Mit welchem sie phantastisch Kränze wand
[…] Dort … zerbrach ein falscher Zweig,
Die Weide wird unter Berufung auf Othello als Symbol für die enttäuschte Liebe gesehen, doch eine andere, tradierte Bedeutung, die auf Homers Odyssee (X.510) zurückgeht, und die in zeitgenössischen Emblemata aufgegriffen wird, verdient der Erwähnung. Die Weide steht nach Homer auch für Unfruchtbarkeit oder gar verlorene Frucht, wie es beispielsweise in dem Emblem PERDITA IUVENTUS (B. Aneau, Picta poesis 1552) ausgedrückt wird.
Frugisperda Salix, cui dat circunfluus humorDas frugisperda ist eine Übertragung aus dem Griechischen, es ist Homers clesakarpoj. Doch bereits beim perda griff man bereits wieder auf die klassische Mythologie zurück, zu finden in den Metamorphosen Ovids: Das Rebhuhn perdix, das die Höhe fürchtet und deshalb nur dicht am Boden bleibt, entstand aus dem 12-jährigen Neffen des Daedalus, den dieser aus Eifersucht über die Erfindung von Säge und Zirkel von der Klippe stieß. Ovid Met. IIX.236-259 »Daedalus wurde neidisch, stürzte ihn kopfüber von Minervas heiliger Burg und gab vor er sei ausgeglitten. Doch Pallas, die begabten Menschen gewogen ist, fing ihn auf, machte ihn zum Vogel und gab ihm mitten in der Luft ein Federkleid. Aber die Kraft seines einst so beweglichen Geistes ging in die Flügel und Füße über. Der Name blieb derselbe wie vorher.«
Nutrimen, calamos inter arundineos.
FILIUS est cui patris opes alimenta ministrant,
Ut fluat in molles undique delicias.
Inter adulantum pulchras specie, sed inanes
Turbas, blanditiae flexilis & Coracas.
Aetatis cum flore suae qui semina perdens
Virtutum: nulla posteà fruge valet.
Damned Youth - The fruitless willow, fed by water that flows around it among the reedy rushes, is a boy for whom his father’s wealth secures a living, so that he can lose himself in sweet delights of all sorts, amenable to flattery among crowds of flatterers and ravens, fine to look at but empty. He loses with the flower of his beauty the seeds of virtue; later, he will produce no fruit.
Vertane Jugend - Die fruchtverderbende Weide, welcher das herumfließende Wasser Nahrung gibt zwischen dem Schilfrohr, sie ist der Sohn, den des Vaters Mittel reichlich versorgen, so daß er ringsum in weichem Genuß zerfließt zwischen den Scharen der Schmeichler, die schön anzusehen, doch nichtswürdig sind, und den umgarnenden, wendigen Corax-Jüngern. Wer in der Blüte seiner Jahre den Samen der Tugend verliert, wird später niemals Frucht bringen.
In der Zeit religiöser Auseinandersetzungen ist selbstredend auch die christliche Symbolkraft eines unfruchtbaren Baumes (wie vermeintlich auch der Weide) von Bedeutung. Da klingen primär die donnernden Worte von Johannes dem Täufer im Matthäus- und Lukas-Evangelium nach: Es ist schon die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt. Darum: jeder Baum, der nicht gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen.
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