Donnerstag, 19. Juli 2007

Das Blount-Rätsel


Niemand wird so heutzutage so sehr gehasst wie der Medienunternehmer, jener, den angeblich nur das Geldverdienen an der Kunst reizt. Der Groll auf das Maklergewerbe zieht sich anscheinend durch die Generationen. Alle Welt redet von Shakespeare und seinem posthumen First Folio. Aber wer hat’s bezahlt? Wer hat das Papier bezahlt, die Drucker gedungen, ist bei der Obrigkeit vorstellig gewesen, hat den Kupferstecher beauftragt? Vielleicht war es ja der ewige Praktikant, zehn Jahre volontierte er in fremder Druckerei, bevor er sich an damals drittklassiger Ware versuchen durfte: Edward Blount, der kaum wahrgenommene Co-Herausgeber von Shakespeares First Folio.

20 maij [1608]
Edward Blount. Entred for his copie vnder th andes of Sir George Buck knight and Master Warden Seton A booke called. The booke of Pericles prynce of Tyre .. .. .. .. .. .. vjd

Edward Blunt. Entred also for his copie by the lyke Aucthoritie. A booke Called. Anthony. and Cleopatra .. .. .. vjd


Was fand Eingang in Blounts Kraut-und-Rüben-Sortiment? Ein umstrittenes Werk über die wahre englische Fechtkunst, geschrieben von einem penetranten Besserwisser. Eine eigenhändige Übersetzung eines unglaublich umfangreichen Werks, eines unliebsamen spanischen Autors mit dem unaussprechlichen Titel Don Quixote; eine Option auf ein minderwertiges Stück des Bühnenstars Shakespeares. (Der hatte leider eine Schreibblockade, die der Mittvierziger in den örtlichen Bordellen erfolgreich bekämpfte; die Drecksarbeit musste ein so billig als schlechter Lohnschreiber bewältigen) ...

Wer forscht über Edward Blount, über den so wenig bekannt ist, außer dass er 1562 getauft und im oder vor dem Jahr 1632 gestorben ist? Bislang nur der amerikanische Anglist Prof. Gary Taylor, der seine Verwunderung zum Ausdruck bringt: „Nobody's really paid attention to him. So I'm doing a book about him.“ Man darf gespannt sein.

Die faktenfressenden Marloweianer haben Blount schon seit längerem im Visier. Im Jahr 1994 charakterisierte Charles Michaels, Jr. unter Berufung auf Sir Sidney Lee den „Herausgeber ohne eigene Druckerei“ wie folgt: Edward Blount, according to Shakespearean scholar Sidney Lee, was a publisher of great integrity. Among his many publications were the first English edition of Cervantes’ Don Quixote, Marlowe’s Hero And Leander, John Florio’s translation of Montaigne’s Essayes, the first English-Italian dictionary, and Shakespeare’s First Folio on 1623. Blount had also been a good friend of CM and of Marlowe’s patron, Thomas Walsingham. We know this because when Blount published Marlowe’s Hero and Leander early in 1598 he dedicated the book to TW and in the dedication referred to Marlowe as “the man that hath been dear to us.” [Quelle: Marlovian.com]

Mittwoch, 18. Juli 2007

Du bist gelehrt, sprich du


Von der Drossel, die eine Schnepfe war, gelangt man zum Höfling Osrick, einer permanent von Streichung bedrohten Nebenfigur. Osrick ist das Musterbeispiel eines Stooges, an dem man sich Shakespeares Kunst der Charakterisierung vor Augen führen kann. Osrick ist ein Landei am Hofe, eine Yeoman, ein Nachplapperer. Ein, zwei Sätze reichen aus, um ihn zu charakterisieren. Er bleibt aber stets ein Handreicher auf der Bühne.

Im Mittelfeld angelegt sind hingegen Rosenkranz und Güldenstern, die es in Tom Stoppards „Rosencrantz and Guildenstern are Dead“ vom Parasiten (im Wortsinn) zu verfilmten Helden gebracht haben. (Jüngeren sind R & G als Timon und Pumbaa aus Disneys Löwenkönig bekannt. Man könnte auch das Hakuna-Matata-Lied als zeitgemäßes 2B v ¬2B betrachten )

Über das Charakterisieren kommt man von den eindimensionalen Figuren zu den runden, vielschichtigen, dreidimensionalen. Diese drei Dimensionen sind 1 die physische, 2, die soziologische und 3 die psychologische. (Ein Schreibratgeber tut was er tuen muss: Es rät dazu, möglichst viele Menschen nach ihren Motiven zu befragen.)

Das unten angesprochene Werk über das Fechten zur Shakespeare-Zeit birgt auch noch ein weiteres Detail: Der Verleger und oder Herausgeber von Silvers englischer Fechtschule 1599 war ein gewisser Herr Edward Blount (Gentleman), der auch als Venture-Capitalist an der Herausgabe des legendären First Folio beteiligt war. Und zuvor als Einträger-Blockierer im Stationers-Register ein „Copyright“ an Shakespeares Flop-Drama Perikles hielt. Es ist deshalb anzunehmen, dass die Fechtszenen in „Hamlet“ sich auf Silver beziehen. Dass Paradoxes of Defence ein Quelle Shakespeares ist, eine wichtigere vielleicht als die Vier-Temperamente-Lehren des Mittelalters.

Freitag, 13. Juli 2007

Schnepfe und Sprenkel (2)



Als nach der Action-Szene V,2 in der Hitze des Gefechts Laertes und Hamlet die Rapiere tauschen, – hanebüchen, aber so wird Weltliteratur gemacht – ritzt Hamlet seinen Gegner. Noch weiß der Dänenprinz nichts vom Klingengift. Aber der verwundete Laertes sieht seinem nahen Ende entgegen und bespricht sich mit seinem Sekundanten, dem Höfling Osrick. Dabei gebraucht er fast die gleichen Worte, wie sein Vater Polonius, der, welch Ironie, ebenfalls (vielleicht unbeabsichtigt) vom Prinzen Hamlet erdolcht wurde. - Diese Echos und Spiegelungen wie sie Manfred Pfister verortet hat, gehören anscheinend zum Konstruktionsprinzip des Dramas.

OSRIC. How is’t, Laertes?
LAERTES. Why, as a woodcock to mine own springe, Osric;
I’m justly killed with mine own treachery.

Hier verschmelzen, nach Harold Jenkins, zwei sprichwörtliche Redensarten miteinander: Wer so dumm ist, sich in der eigenen Falle zu verfangen, der wird zu dem dummen Vogel, der eigentlich leicht zu fangen ist.

Fechten in der Hamlet-Zeit: Paradoxes of Defence, George Silver (1599)

Montag, 9. Juli 2007

Sprenkel für die Drosseln



Endlich habe ich einen Modus operandi für diesen Blog gefunden. Mit der RAN#-Taste wühlt sich der alte Maulwurf durch den Hamlet-Text und landet im ersten Akt, dritte Szene: Polonius, der selbsternannte Experte für die Leidenschaft, verteilt seine guten Ratschläge an seinen Sohn Laertes, der sich zum Studium nach Paris begibt, und verhört anschließend seine Tochter Ophelia.

POLONIUS. Ja, Sprenkel für die Drosseln! Weiß ich doch,
Wenn das Blut kocht, wie das Gemüt der Zunge
Freimütig Schwüre leiht. Dies Lodern, Tochter,
Mehr leuchtend als erwärmend, und erloschen
Selbst im Versprechen, während es geschieht,
Nehmt keineswegs für Feuer. …


Shakespeares „springes to catch woodcocks“ übersetzte Schlegel mit„Sprenkel für die Drosseln“. Das kann man leicht als „Eulen nach Athen tragen“ missdeuten, weil eine Drosselbrust (s.o.) sehr stark gesprenkelt (im Sinne von macula, Fleck) ist. Die zweite Wortbedeutung von Sprenkel, decipula avium, Vogelstrick, ist zunehmend in Vergessenheit geraten.

Noch Meyers Konversationslexikon von 1885 beschreibt im Artikel über den Vogelfang den Sprenkel wie folgt: „Der Sprenkel oder die Sprangrute, die bekannteste und am meisten gebräuchliche Vorrichtung, besteht in einer elastischen Haselnuß- oder Weidenrute, welche am dickern Ende durchbohrt ist, um die am dünnern Ende angeknüpfte Schlinge aufzunehmen, und die vermittelst eines Sprung- oder Stellhölzchens befestigt wird.“

Schnappfallen fangen Schnepfen, so die wortwörtliche Übersetzung könnten in diesem Zusammenhang im Feld zwischen „Mit Speck fängt man Mäuse“ und „Nachtigall, ick hör dir trapsen“ angesiedelt sein.

Da die Waldschnepfe Scolopax rusticola heutzutage ein natürlich seltener Vogel ist, die Jagd auf sie wurde in den 1980er Jahren de facto eingestellt, ist sie aus dem Bewusstsein der Menschen so gut wie verschwunden, und so dient die „Schnepfe“ vorwiegend zur Beschimpfung von dummen Frauen. Deshalb zur Erinnerung ein Bild.



Wenn Polonius also von Sprenkeln für die Drosseln spricht, meint er damit, dass Hamlets Liebesschwüre ganz billige Tricks sind, auf die nur dumme und plumpe Frauen hereinfallen, zu denen er seine Tochter nicht zu zählen bereit ist.