Dienstag, 29. Juli 2008

„Nähren muss mich nun das nackte Selbst“



Ein kaum gespieltes Stück aus der Klasse der Problemkomödien wurde auf dem Shakespeare-Festival in Neuss aufgeführt: Ende gut, alles gut.

Heldin des Stückes ist die bürgerliche Arzttochter Helena, die sich in den blasierten Grafen Bertram verliebt hat. Bertram liebt sie nicht, wird aber zur Ehe mit Helena durch den König genötigt, denn diese hatte den todkranken Monarchen durch ein Wundermittel aus dem Nachlass ihres Papas geheilt. Den frischgebackene Bräutigam Bertram zieht es stattdessen in die Toskana, um sich dort mit seinem persönlichen Assistenten Parolles als Söldner die Zeit zu vertreiben. Dazu gehört auch die niedere Minne, der depperte Adlige (Habsburg lässt grüßen) macht der frommen Wirtshaustochter Diana den Hof. Währenddessen pilgert Helena ihren ganz persönlichen Jakobsweg, ihrer endet in Florenz. - Die falstaffianische Gestalt Parolles kommt in den Genuss einer frühneuzeitlichen Variante des „Waterboarding“, nur so zum Spaß, weil er seine Trommel verloren hat. Da er dabei seine Vorgesetzten verrät und einige unangenehme Wahrheiten über die Führungskräfte verrät, wird die Scheinhinrichtung abgebrochen und Parolles unehrenhaft aus dem Militärdienst entlassen. (Aber: einmal Öffentlicher Dienst, immer Öffentlicher Dienst. Wir ahnen, dass am Hofe der Gräfin von Roussillon eine C4-Professur als Narr freigeworden ist.) - Heldin Helena wendet den berühmten bed trick an, gewinnt derart Ring und Kind und somit - ein Graf, ein Wort - auch die Liebe ihres Gatten zurück. Ende gut, alles gut. All’s Well That Ends Well.

Es bleibt ein bitterer Schluss, man vermisst doch eine etwas glaubhaftere Läuterung des männlichen Protagonisten, das liegt aber an Herrn Shakespeare. - Tolle, amüsante, temporeiche Aufführung mit herrlich albernem Slapstick-Humor, super Schauspieler, Michael Meyer glänzt als Parolles, hat aber deutlich mehr Spaß in der Rolle der Pizzabäckerswitwe. Beate Weidenhammer muss nur aus den Augen gucken, schon ist sie komisch. - Wunderbares Festival, man spürt die positiven vibes. Und natürlich der Spielort! Den Globe architektonisch, in der Funktion als Theaterstätte, zu erleben, ist schon Grund genug, das alljährliche Neusser Shakespeare-Festival zu besuchen.

Ende gut, alles gut. Globe-Theater Neuss. Gastspiel der bremer shakespeare company. 24.-27. Juli 2008. Regie, Übersetzung, Bühne: Sebastian Kautz. Kostüme: Uschi Leinhäuser. Darsteller: Janina Zamani (Helena, Herzog von Florenz, Koch); Tim D. Lee (Bertram, Lavache, Mariana, Koch); Markus Seuß (König von Frankreich, Lafeu, Diana, Koch); Beate Weidenhammer (Gräfin von Roussillon, Bote, Jungfrau Maria, Koch); Michael Meyer (Parolles, Witwe, Koch)

Samstag, 26. Juli 2008

Worum dreht es sich?


Wieder einmal war es DD, der Dramatische Dilettant Bert Brecht, der die Nebelkerze (1) für seinen St. Alin (2) entzündete, und die Aufmerksamkeit auf den unscheinbarsten der Kandidaten lenkte, die Kopernikus’ Fackel der wahren Revolution (3) an den „Kehrichthaufen der Geschichte“ (Trotzki 1930) legte. Galilei (4) war es nicht, das wusste schon dessen Altersgenosse Shakespeare besser.

Denn: Wer spukte seit der Supernova von 1572 (5) nachts auf dänischen Terrassen herum? Wer sah gar gespenstisch aus, mit seiner angeklebten Nasenprothese? Wer zweifelte an der Sonne Klarheit, an der Sterne Licht, angesichts des Kometen von 1577? (6) Der dänische Astronom Tycho Brahe war es, der Kupferstiche seines Porträts im Kreise der Ahnenwappen (darunter auch jene derer von Rosenkranz und Güldenstern) nach England schickte, mit der Aufforderung, sie den besten Poeten Englands vorzulegen, damit sie ein Epigramm auf ihn dichteten. Das unprämierte Epigramm Shakespeares lautet vermutlich „The Hawk and the Handsaw“, so deutet es jedenfalls der höchst lesenswerte Emiritus der Astronomie, Prof. Peter D. Usher (7) an, der die himmlischen Fakten zu einer allegorischen Deutung des Hamlet zusammenfasst: Der illegitime König Claudius steht für - der Name sagt es - den geozentrischen Claudius Ptolemäus; Rosencranz und Güldenstern repräsentieren den intermediären, in einem ideologischen Fegefeuer gefangenen, Tycho Brahe und Fortinbras ist der siegreich aus Polen heimkehrende Kopernikus. - Ushers Interpretationsmodell ist zwar noch stark ausbaubar, überzeugt durch seine Detailverliebtheit und den Verzicht auf den Alleinvertretungsanspruch der sonstigen Unorthodoxen.

1 Wikipedia „Das Leben des Galilei“ — 2 Die Welt, 21.7.2008 - Kommunisten wollen Heiligsprechung Stalins — 3 Nikolaus Kopernikus: „De Revolutionibus Orbium Coelestium“ (Von den Umdrehungen der Himmelskreise) 1543 — 4 Hans Conrad Zander: „1633 - Warum die Inquisition im Fall Galilei Recht hatte” Die Welt, 18.1.2008 — 5 Supernova 1572 — 6 Komet von 1577 — 7 Peter D. Usher, Professor Emeritus am Department of Astronomy and Astrophysics der Penn State University

Sonntag, 20. Juli 2008

Künstlerkneipe

Künstlerkneipe im Rom des 17. Jahrhunderts
Eine Künstlerkneipe im Rom des 17. Jahrhunderts mit Karikaturen an der Wand zwischen 1625 und 1639. Zeichnung von Pieter van Laar, Feder und Tinte, laviert auf Papier, 20.3 x 25.8 cm. Kupferstichkabinett, Staatliche Museen Berlin.

In meiner Phantasie ist die junge Person in der Mitte, das Gesicht abgewandt, jener unbekannte Provinzler, der den Hocker umwarf, der mit den Konventionen brach, Shakespeare. Zu seiner Linken: Christopher Marlowe, der die Hellebarde abgestellt hat, der Eigentlich-Künstler im geheimen Staatsdienst, zündet sich eine Feierabendpfeife an. An der Wand, zwei Maler in einem wit contest, angefeuert von den Kollegen, ignoriert von den Spitzeln oder Incognito-Adligen mit den langen Ohren beim Mühle-Spiel, und ganz rechts, Blooms Liebling, der dicke Ritter, der riesige Fleischberg, Sir John Falstaff höchstpersönlich. Aber es ist nur eine Phantasie.

Samstag, 19. Juli 2008

Künstlerpech

Juli. Sommerzeit. Die Staatstheater gehen in die Ferien. Incredible Hulk Peymann gewährt 3sat ein Interview aus seinem Garten. Open-Air-Bühnen hoffen auf gutes Wetter, die Stadt Neuss lädt vom 24. Juli bis zum 24. August in ihren überdachten Globe-Nachbau zum Shakespeare-Festival.

Ich habe Karten für das selten gespielte Ende gut, alles gut (All’s Well That Ends Well), lese mich ein, und höre eine Hamlet-Weise erklingen. „Dänemark ist ein Gefängnis!“ In dem Problemstück tönt eine ganz ähnliche kognitive Musik, allerdings statt in Moll- in der Dur-Tonart. Der Maulheld Parolles verkündet „Frankreich ist ein Stall, und wir die Mähren drin; drum fort ins Feld.“ (Ende gut II.3)

Künstlerpech. Hamlets dänisches Gefängnis mag an Anna von Dänemark, Gattin Jakobs I., seit 1603 Englands neuer König gescheitert sein, ohne große persönliche Animositäten.

Die Band „Juli“ hatte 2004 gerade ihren Riesenhit „Die perfekte Welle“, da ereignet sich eine Katastrophe gegen die Goethens Erdbeben von Lissabon nur am unteren Ende der Richter-Skala rangiert. Der Tsunami. Und schon passt der großartige Song nicht mehr zum Zeitgeist, wird nicht mehr im Radio gespielt.[*] Künstlerpech.

Anmerkung zu Ende gut, alles gut: Der Reclam-Herausgeber Dietrich Klose empfiehlt zur Vertiefung den New Arden Shakespeare, er nennt die Quelle des Stücks, die Geschichte der Giletta von Narbonne in Boccacios Decamerone (III.9) sowie Shakespeares Vorlage, die englische Sammlung Palace of Pleasures aus dem Jahr 1566.

Dienstag, 15. Juli 2008

Dänemark ein Gefängnis?



Wie hieß doch gleich die Gemahlin des englischen Königs Jakob I.? Königin Anna von Dänemark (s.o.), Mäzenatin der schönen Künste, Förderin der Maske und der Child Actors! Pech gehabt, Herr Shakespeare. So, diese Zeilen konnte der gute Will sich abschminken.
Hamlet. Lasst mich euch näher befragen: Worin habt ihr, meine guten Freunde, es bei Fortunen versehen, dass sie euch hierher ins Gefängnis schickt?
Güldenstern. Ins Gefängnis, mein Prinz?
Hamlet. Dänemark ist ein Gefängnis.
Rosenkranz. So ist die Welt auch eins.
Hamlet. Ein stattliches, worin es viele Verschläge, Löcher und Kerker gibt. Dänemark ist einer der schlimmsten.
Rosenkranz. Wir denken nicht so davon, mein Prinz.

In Garricks Second Quarto von 1604 sucht man vergeblich nach dieser Stelle.