Sonntag, 30. Dezember 2007

Ophelia - Was ist in deinem Namen?


Zweifellos, Ophelia klingt griechisch. Manfred Pfister übersetzt den Namen in seinem Essay Hamlet und kein Ende mit „Beistand“ oder „Hilfe“, um sich sodann in die Gefilde des Nachlebens der Wasserleiche zu begeben.
Harold Jenkins, Herausgeber des Arden-Shakespeare, hingegen gab seinem Zweifel an der Angemessenheit der Namensbedeutung noch Ausdruck. Er weist auch die Anspielung auf den männlichen Ofelia aus Sannazaros Arcadia aus dem Jahr 1502 zurück. Jenkins richtet das Augenmerk auf ein zeitgenössisches Werk — Ben Jonsons 1600 aufgeführte Satire Cynthia’s Revels. Aufgeführt ausgerechnet von jenen Kinderschauspielern, über die Rosenkranz klagt, »es hat sich da eine Brut von Kindern angefunden, kleine Nestlinge, die immer über das Gespräch hinausschrein und höchst grausamlich dafür beklatscht werden. Diese sind jetzt Mode und beschnattern die gemeinen Theater … « (II.2) Und so stellt Ben Jonson seine Apheleia vor:
The fourth, in white, is Apheleia, a nymph as pure and simple as the soul, or as an abrase table, and is therefore called Simplicity; without folds, without plaits, without colour, without counterfeit; and (to speak plainly) plainness itself. Her device is no device. The word under her silver shield, “omnis abest fucus”; alluding to thy spotless self, who art as far from impurity as from mortality. (Quelle)

Sancta Simplicitas! Dies ist (liebe Schöler) die grobe Charakterisierung der Ophelia: Einfältigkeit! Der Wappenspruch heißt, soweit ich mit meinem Biologenlatein nicht am Ende bin, nicht etwa „Seetang komplett entfernt“ sondern eher „Alles abgeschminkt“.

UK-Wiki: Ben Jonson, Cynthia’s Revels
D-Wiki: Jacopo Sannazaro

Shakespeare vs. Goethe

Der Weihnachtsmann spielte mir ein ebenso amüsantes wie kluges Buch des ex-hawaiianischen Mediävisten Eric T. Hansen in die Hände. Es heißt „Deutschlandquiz - Alles, was sie über dieses Land wissen sollten und nie zu fragen wagten“. Neben spannenden Themen wie der deutschen Aussterbeangst und dem Tagesablauf eines Stasi-Rentners widmet Hansen sich auch der ganz hohen Literatur:
Kann es sein, dass Deutschland und England zwei verschiedene Literaturtraditionen vertreten? …
Shakespeare schrieb für seinen Lebensunterhalt. Er war Freiberufler und auf zahlendes Publikum angewiesen. Er musste Geschichten finden, die seinen Zuschauern gefielen; Figuren, die es schafften, jedem zu Herzen zu gehen, ob gebildet oder nicht.
Goethe ließ sich zwar gern von seinen Verlegern entlohnen, das machte aber nur ein Drittel seines Einkommens aus. Der Löwenanteil stammte aus Familienvermögen und aus seiner geheimratlichen Tätigkeit. Auf ein zahlendes Publikum war er nicht angewiesen. Er schrieb aus anderen Gründen: für das Renommee vielleicht, womöglich für die eigene Unterhaltung oder einfach um der Kunst willen.
Deutsche kritisieren gern den Hang mancher englischen und amerikanischer Bestsellerautoren zum Kommerz, doch wir finden es ehrenvoll, unseren Wert an verkauften Exemplaren zu messen. Den Deutschen reicht das nicht - sie wollen mehr, sie streben nach intellektuellen Hochleistungen. Kommerz erscheint ihnen als Kompromiss und als Sünde gegen die Kunst. Beide Einstellungen entstammen den Erzähltraditionen ihrer Länder und werden von den jeweiligen Vorbildern Shakespeare und Goethe verkörpert. (Eric T. Hansen)
Selten hat mir jemand so sehr aus der Seele gesprochen.

Mittwoch, 19. Dezember 2007

Ophelische Lieder



(Ham. IV.) „Im folgenden sehen wir einen der berühmtesten Auftritte der dramatischen Literatur: die wahnsinnige Ophelia. Sie ist völlig durcheinander. Sie erscheint mit lose; herunterhängendem Haar; ausgestattet mit einer Laute, singt sie unzusammenhängende Bruchstücke aus verschiedenen Balladen.“1

Fünf Lieder singt Ophelia. „Wie erkenn’ ich dein Treulieb“, „Sein Leichenhemd, weiß wie Schnee“, „Auf morgen ist Sankt-Valentins-Tag“, „Sie trugen ihn auf der Bahre bloß“ sowie „Und kommt er nicht mehr zurück?“ Die deutsche Romantik, besser: Johannes Brahms, hat den Wahnsinn vertont, hat die einfachen Lieder den kunstvollen Arien vorgezogen. Heutzutage dirigiert Daniel Barenboim und Jessye Norman singt. Die CD der Deutschen Grammophon ist „im Handel“ erhältlich, bei iTunes pret-a-porter digitalisiert. Tolle Sache. - Aber: da in England anscheinend nichts weggeschmissen wird, konnte man einige Vorbilder der Ophelia-Lieder identifizieren. How should I your true love know geht auf eine beliebte Ballade der Walsingham-Pilger zurück. Von dieser Ballade ist sowohl Text als auch Melodie bekannt, die als Walsingham Tune bekannt ist. Ein Midi-File gibt es auf der Seite The Music of the Sixteenth Century Broadside Ballad von Greg Lindahl.

[Hey, this my second link to his website, Greg starts with a Kenneth Rexroth quote, and links to Operation Clambake. He is without doubt a cool guy.]

1 Schwanitz, Shakespeares Hamlet, p 110

Sonntag, 16. Dezember 2007

Wat is en Hamletmaschin’?


Wat ham mer denn dran? Ah, die müllersche Hamletmaschin’. Wat is en Hamletmaschin’? Da stell mer uns janz dumm. Und sagen en Hamletmaschin’ is en dünne schwarze Mann. Und der hat zwei Löcher im Kopp. In den einen geht der Geist rein und aus dem anderen kommt der Königsmord raus. Dat zweite kommt später, dat steht auch im Buch, wie überhaupt alles im Buch steht.

Walsers Schwarzschwan


Ein Stück, das angeblich „im Dialog“ mit „Hamlet“ stünde, soll Walsers “Schwarzer Schwan“ sein. Antiquarisch findet man gelegentlich eines von den Suhrkamp-TB. Erster Eindruck: Langweiliger, hysterischer Schrott, so unerträglich wie deutsches Fernsehen des Jahres 1964. Lesenswert hingegen sind Karaseks Erinnerungen an die Premiere annodazumal. „Der ewige Antisemit?“

„Im Dialog“ - ha! Als könnte Shakespeare antworten. Im günstigsten Fall ist ein „Aufspringen auf den Zug“, im Regelfall ein „Schmücken mit fremden Federn“ und was bleibt übrig, wenn man den Schwan gerupft hat? Noch nicht mal mehr ein Suppenhuhn!

Samstag, 15. Dezember 2007

Wahnsinn!

Jener Maniac, der Tobsüchtige, wie er schon bei Mk 5,2-5 prototypisch beschrieben wurde, fand sich auf dem Frontispiz der „Anatomy of Melancholy“ (Robert E. Burton,1621), die ich hier nur mal eben verlinken wollte. Wahnsinn!

Goethens Rip-Off


Dank gebührt Michael Thalheimer, der die billige, lahmarschige dramatische Struktur des „Faust“ in seiner Inszenierung für das Deutsche Theater so erbarmungslos offengelegt hat.
   Beeindruckend: die Reduktion der Walpurgnisnacht auf einen luftgitarrespielenden Faust zu Deep Purples „Child of Times“. Statt Myriaden von Stimmen Myriaden von Lichtreflexen.
   Davor: Der hamleteske Selbstmord-Monolog „Habe nun ach, ... blabla“ vs. „Sein oder nicht sein“.
   Danach: die wahnsinnige Schöne, Margarete-Ophelia, die ihr wirres Lied singt (Meine Mutter, die Hur / Die mich umgebracht hat! / Mein Vater, der Schelm, / Der mich gessen hat! / Mein Schwesterlein klein / Hub auf die Bein / An einem kühlen Ort; / Da ward ich ein schönes Waldvögelein, /Fliege fort, fliege fort! - Das Goethe bei den Grimms und somit bei P.O. Runge stahl. [H. Zimmermann])
   Nie war Goethens gescheiterter Versuch, Shakespeare zu übertrumpfen, so offensichtlich.

Nur freuen kann man sich auf den April 2008. Dann zieht Regisseur Thalheimer triumphierend ins Hamburger Thalia Theater ein, mit einer „Hamlet“-Inszenierung, die sich hoffentlich gewaschen haben wird. You'd better close your eyes and bow your head - And wait for the ricochet.

Freitag, 14. Dezember 2007

Wermut, Wermut

Absinth, Pflanze des Fin de siecle
Zuerst hielt ich „Wormwood, wormwood“ aus der Mausefalle, dem unerträglichen Stück im Stück, für ein simples Anglerutensil, ein Wurmholz. Ein Holz, das man schräg in den Erdboden steckt, mit den Fingern darauf trommelt, mit der Absicht die Regenwürmer heraus zu locken. - Aber dann war es doch das Kraut, der Wermut, Absinthium spec., heute Artemisia absinthium. (Diana-Verehrer Will hätte sich gefreut!) Seit biblischen Zeiten ist der Wermut ein Synonym für die Bitterkeit (chemisch: beta-Thujon). Leider macht diese Bedeutung „Das ist bitter!“ die Stelle III.2,178 nicht unbedingt verständlicher.

Eine Annäherung an das apokalyptische Kraut der Anti-Mütter versuchen Hassel, R. Chris, Jr. “Wormwood, Wormwood.” Deutsche Shakespeare-Gesellschaft West: Jahrbuch [no vol. #] (1993): 150-62. zitiert nach Hamlethaven.com. (Dort auch ein kleines Abstract.)

Die Wermut-Bibelstellen führt akribisch auf: Bibelpflanzen.de, ein Projekt des renommierten botanischen Fachverlags Ulmer.

Donnerstag, 19. Juli 2007

Das Blount-Rätsel


Niemand wird so heutzutage so sehr gehasst wie der Medienunternehmer, jener, den angeblich nur das Geldverdienen an der Kunst reizt. Der Groll auf das Maklergewerbe zieht sich anscheinend durch die Generationen. Alle Welt redet von Shakespeare und seinem posthumen First Folio. Aber wer hat’s bezahlt? Wer hat das Papier bezahlt, die Drucker gedungen, ist bei der Obrigkeit vorstellig gewesen, hat den Kupferstecher beauftragt? Vielleicht war es ja der ewige Praktikant, zehn Jahre volontierte er in fremder Druckerei, bevor er sich an damals drittklassiger Ware versuchen durfte: Edward Blount, der kaum wahrgenommene Co-Herausgeber von Shakespeares First Folio.

20 maij [1608]
Edward Blount. Entred for his copie vnder th andes of Sir George Buck knight and Master Warden Seton A booke called. The booke of Pericles prynce of Tyre .. .. .. .. .. .. vjd

Edward Blunt. Entred also for his copie by the lyke Aucthoritie. A booke Called. Anthony. and Cleopatra .. .. .. vjd


Was fand Eingang in Blounts Kraut-und-Rüben-Sortiment? Ein umstrittenes Werk über die wahre englische Fechtkunst, geschrieben von einem penetranten Besserwisser. Eine eigenhändige Übersetzung eines unglaublich umfangreichen Werks, eines unliebsamen spanischen Autors mit dem unaussprechlichen Titel Don Quixote; eine Option auf ein minderwertiges Stück des Bühnenstars Shakespeares. (Der hatte leider eine Schreibblockade, die der Mittvierziger in den örtlichen Bordellen erfolgreich bekämpfte; die Drecksarbeit musste ein so billig als schlechter Lohnschreiber bewältigen) ...

Wer forscht über Edward Blount, über den so wenig bekannt ist, außer dass er 1562 getauft und im oder vor dem Jahr 1632 gestorben ist? Bislang nur der amerikanische Anglist Prof. Gary Taylor, der seine Verwunderung zum Ausdruck bringt: „Nobody's really paid attention to him. So I'm doing a book about him.“ Man darf gespannt sein.

Die faktenfressenden Marloweianer haben Blount schon seit längerem im Visier. Im Jahr 1994 charakterisierte Charles Michaels, Jr. unter Berufung auf Sir Sidney Lee den „Herausgeber ohne eigene Druckerei“ wie folgt: Edward Blount, according to Shakespearean scholar Sidney Lee, was a publisher of great integrity. Among his many publications were the first English edition of Cervantes’ Don Quixote, Marlowe’s Hero And Leander, John Florio’s translation of Montaigne’s Essayes, the first English-Italian dictionary, and Shakespeare’s First Folio on 1623. Blount had also been a good friend of CM and of Marlowe’s patron, Thomas Walsingham. We know this because when Blount published Marlowe’s Hero and Leander early in 1598 he dedicated the book to TW and in the dedication referred to Marlowe as “the man that hath been dear to us.” [Quelle: Marlovian.com]

Mittwoch, 18. Juli 2007

Du bist gelehrt, sprich du


Von der Drossel, die eine Schnepfe war, gelangt man zum Höfling Osrick, einer permanent von Streichung bedrohten Nebenfigur. Osrick ist das Musterbeispiel eines Stooges, an dem man sich Shakespeares Kunst der Charakterisierung vor Augen führen kann. Osrick ist ein Landei am Hofe, eine Yeoman, ein Nachplapperer. Ein, zwei Sätze reichen aus, um ihn zu charakterisieren. Er bleibt aber stets ein Handreicher auf der Bühne.

Im Mittelfeld angelegt sind hingegen Rosenkranz und Güldenstern, die es in Tom Stoppards „Rosencrantz and Guildenstern are Dead“ vom Parasiten (im Wortsinn) zu verfilmten Helden gebracht haben. (Jüngeren sind R & G als Timon und Pumbaa aus Disneys Löwenkönig bekannt. Man könnte auch das Hakuna-Matata-Lied als zeitgemäßes 2B v ¬2B betrachten )

Über das Charakterisieren kommt man von den eindimensionalen Figuren zu den runden, vielschichtigen, dreidimensionalen. Diese drei Dimensionen sind 1 die physische, 2, die soziologische und 3 die psychologische. (Ein Schreibratgeber tut was er tuen muss: Es rät dazu, möglichst viele Menschen nach ihren Motiven zu befragen.)

Das unten angesprochene Werk über das Fechten zur Shakespeare-Zeit birgt auch noch ein weiteres Detail: Der Verleger und oder Herausgeber von Silvers englischer Fechtschule 1599 war ein gewisser Herr Edward Blount (Gentleman), der auch als Venture-Capitalist an der Herausgabe des legendären First Folio beteiligt war. Und zuvor als Einträger-Blockierer im Stationers-Register ein „Copyright“ an Shakespeares Flop-Drama Perikles hielt. Es ist deshalb anzunehmen, dass die Fechtszenen in „Hamlet“ sich auf Silver beziehen. Dass Paradoxes of Defence ein Quelle Shakespeares ist, eine wichtigere vielleicht als die Vier-Temperamente-Lehren des Mittelalters.

Freitag, 13. Juli 2007

Schnepfe und Sprenkel (2)



Als nach der Action-Szene V,2 in der Hitze des Gefechts Laertes und Hamlet die Rapiere tauschen, – hanebüchen, aber so wird Weltliteratur gemacht – ritzt Hamlet seinen Gegner. Noch weiß der Dänenprinz nichts vom Klingengift. Aber der verwundete Laertes sieht seinem nahen Ende entgegen und bespricht sich mit seinem Sekundanten, dem Höfling Osrick. Dabei gebraucht er fast die gleichen Worte, wie sein Vater Polonius, der, welch Ironie, ebenfalls (vielleicht unbeabsichtigt) vom Prinzen Hamlet erdolcht wurde. - Diese Echos und Spiegelungen wie sie Manfred Pfister verortet hat, gehören anscheinend zum Konstruktionsprinzip des Dramas.

OSRIC. How is’t, Laertes?
LAERTES. Why, as a woodcock to mine own springe, Osric;
I’m justly killed with mine own treachery.

Hier verschmelzen, nach Harold Jenkins, zwei sprichwörtliche Redensarten miteinander: Wer so dumm ist, sich in der eigenen Falle zu verfangen, der wird zu dem dummen Vogel, der eigentlich leicht zu fangen ist.

Fechten in der Hamlet-Zeit: Paradoxes of Defence, George Silver (1599)

Montag, 9. Juli 2007

Sprenkel für die Drosseln



Endlich habe ich einen Modus operandi für diesen Blog gefunden. Mit der RAN#-Taste wühlt sich der alte Maulwurf durch den Hamlet-Text und landet im ersten Akt, dritte Szene: Polonius, der selbsternannte Experte für die Leidenschaft, verteilt seine guten Ratschläge an seinen Sohn Laertes, der sich zum Studium nach Paris begibt, und verhört anschließend seine Tochter Ophelia.

POLONIUS. Ja, Sprenkel für die Drosseln! Weiß ich doch,
Wenn das Blut kocht, wie das Gemüt der Zunge
Freimütig Schwüre leiht. Dies Lodern, Tochter,
Mehr leuchtend als erwärmend, und erloschen
Selbst im Versprechen, während es geschieht,
Nehmt keineswegs für Feuer. …


Shakespeares „springes to catch woodcocks“ übersetzte Schlegel mit„Sprenkel für die Drosseln“. Das kann man leicht als „Eulen nach Athen tragen“ missdeuten, weil eine Drosselbrust (s.o.) sehr stark gesprenkelt (im Sinne von macula, Fleck) ist. Die zweite Wortbedeutung von Sprenkel, decipula avium, Vogelstrick, ist zunehmend in Vergessenheit geraten.

Noch Meyers Konversationslexikon von 1885 beschreibt im Artikel über den Vogelfang den Sprenkel wie folgt: „Der Sprenkel oder die Sprangrute, die bekannteste und am meisten gebräuchliche Vorrichtung, besteht in einer elastischen Haselnuß- oder Weidenrute, welche am dickern Ende durchbohrt ist, um die am dünnern Ende angeknüpfte Schlinge aufzunehmen, und die vermittelst eines Sprung- oder Stellhölzchens befestigt wird.“

Schnappfallen fangen Schnepfen, so die wortwörtliche Übersetzung könnten in diesem Zusammenhang im Feld zwischen „Mit Speck fängt man Mäuse“ und „Nachtigall, ick hör dir trapsen“ angesiedelt sein.

Da die Waldschnepfe Scolopax rusticola heutzutage ein natürlich seltener Vogel ist, die Jagd auf sie wurde in den 1980er Jahren de facto eingestellt, ist sie aus dem Bewusstsein der Menschen so gut wie verschwunden, und so dient die „Schnepfe“ vorwiegend zur Beschimpfung von dummen Frauen. Deshalb zur Erinnerung ein Bild.



Wenn Polonius also von Sprenkeln für die Drosseln spricht, meint er damit, dass Hamlets Liebesschwüre ganz billige Tricks sind, auf die nur dumme und plumpe Frauen hereinfallen, zu denen er seine Tochter nicht zu zählen bereit ist.

Freitag, 29. Juni 2007

Saisonabschluss


Die Editors singen An End has a Start. Auch ein Ende fängt mal an. Das gilt auch für Lisa Politts Polittbüro in St. Georgistan. Drei Abende lang feiert sie die gelungene Saison plus Vertragsverlängerung. Den ersten dieser Abende bestritt die junge, nölende Slam-Poetin Xochil (32) mit Hasstiraden gegenüber Mittvierzigern. Aufschlussreich waren ihre Beobachtungen über die Ladies Night im Sausalitos. (Die 20-Jährigen mit den teuersten Klamotten und dem billigsten Parfum kommen zuerst rein.) Dann begeisterte der Zwei-Sätze-eine Nummer-Pianist Marco Tschirpke und schließlich verkündete Herrchens Frauchen „I bin a Wettafrosch“. Und zum Abschluss spielten ganz überraschend Die Sterne den leisesten Gig ihrer Bandgeschichte, gerade mal ein gutes Dutzend Fans und Bekannte hatten die Mini-Notiz in der Szene Hamburg richtig gedeutet. Ein sehr intimes, bezauberndes Konzert. - Heut noch und morgen mit anderem Line-Up. Hingehen. PS: Es gibt ein Freigetränk auf die Eintrittskarte.

Donnerstag, 28. Juni 2007

„Ich glaube eher an die Unschuld einer Hure … “


Vielleicht hätte Nils Werner, Richter am Amtsgericht Altona, doch besser Sozialpädagoge, StudeIeRenDEn/innen-Pfarrer oder gleich Karnevalist werden sollen. Er hegt „moralische Sympathie“ und unterstellt „achtenswerte Motive“ (zit. n. MOPO, 27.6.07), der Rädelsführerin und Immernoch-Studentin Irene H. (30, re.). Mit der Zahlung von lächerlichen 750 Euro ist die Anführerin einer präterroristischen Zelle rehabilitiert und wird nie wieder Waren für 600 Euro (1500 Euro, so die MOPO in der Vorwoche) rauben.

Man vergleiche bitte dieses Urteil mit den Hängt-Sie-höher-Kommentaren der MOPO über Paris Hilton, die für wiederholtes „Autofahren nach Genuss einer Mon-Cherie-Praline“ über einen Monat Knast bekam.

Dienstag, 26. Juni 2007

Darüberhinaus



Worüber ich noch was sagen wollte: Über Shakespeares „Viel Lärm um nichts“ im Thalia-Zelt mit Mofas, Motten und Magie; über Rainald Goetz, Jeff Koons, Jeff Koons und Matussek; über die Arctic Monkeys, ihr schönes Plakat und ein dringend nötiges Festivalsurvivalpaket, das nicht ankommt; über den Salonbolschewisten Daniel Richter, den zurzeit teuersten lebenden Künstler Damien Hirst (s.o.) und Otto Dix als Radio-Dada. Über Schwäne, Kormorane, Uferschwalben und die Wiederkehr des Haussperlings. Über Nose-Slides, Ollis und Skaterjungs. Über Mädchen mit Kreolen, E-Mail-Rentnern und Junglehrern, die „100 Prozent“ arbeiten. (Sie sind fertig!) Über köstliche indische Hähnchengerichte, japanische Mittagsmenüs und den großartigen 1-Euro-Cheeseburger von McDonalds.

Ein Kühlwagen einer Sushi-Kette fährt durch die Stadt, zu erkennen an der Klimaanlage auf dem Dach. Der Wagen ist schnieke sauber, halbwegs neu, etwas größer als ein Familien-Van. Und ich denke: Der kommt jetzt vom Fischmarkt und beliefert die Filialen. - Und ich denke an die schrottreifen, verdreckten Transporter, die im Schanzenviertel vor den Gemüsetürken stehen.

Nach grauen Tagen


Der heutige Tag, verregnet, trieb mich in die Buchhandlung. Nichts bei den Klassikern, nichts in der Lyrik-Ecke, die doch nur die Erotik-Abteilung abschirmen soll. Da war doch was? 25. Juni 1926, Ingeborg Bachmanns Geburtstag. (Die Buchhandlung verließ ich mit dem Fragebogen ihres Ex-Geliebten Max Frisch.)

NACH GRAUEN TAGEN
Eine einzige Stunde frei sein!
Frei, fern!
Wie Nachtlieder in den Sphären.
Und hoch fliegen über den Tagen
möchte ich
und das Vergessen suchen – – –
über das dunkle Wasser gehen
nach weißen Rosen,
meiner Seele Flügel geben
und, oh Gott, nichts wissen mehr
von der Bitterkeit langer Nächte,
in denen die Augen groß werden
vor namenloser Not.
Tränen liegen auf meinen Wangen
aus den Nächten des Irrsinns,
des Wahnes schöner Hoffnung,
dem Wunsch, Ketten zu brechen
und Licht zu trinken – – –
Eine einzige Stunde Licht schauen!
Eine einzige Stunde frei sein!
Ingeborg Bachmann, 1944

Auch und besonders für Gilad Shalit, seit einem Jahr und einem Tag Geisel von Terroristen.

Vom nahen Ende







Eine Kreuzberger Gruppenausstellung mit Friedel Kantaut nähert sich ihrem Ende. Noch bis zum Freitag, den 29. Juni 2007 kann man im „Büro für innere und äußere Angelegenheiten“, Manteuffelstr. 42, Berlin, Kantauts groß-querformatigen Fotobearbeitungen einkaufen, ab 20 Uhr mit den anwesenden Künstlern trinken. Nicht vergessen: Kunst ist das neue Öl. Und Öl das alte Gold.

Am Straßenrand sitzt der Rest des Mannes, der seine Arme und Beine in einem Selbstmordversuch gegen die U-Bahn verloren hat und kotzt seine Wut in die Castingzone. Ein paar Meter weiter hockt ein Künstler auf einer Treppenstufe mit drei kleinen Collagen vor sich, mitten im Sommer vermummt und versteckt unter einer privaten Schneewehe. Oft habe ich beide gesehen und ihre Argumente geahnt, die ich heute wie Flyer vom Fußweg vor ihnen pflücke. „Bei zwei Depressionen bekommen Sie eine dritte gratis.“ Weiter. Vorbei an Straßencafés, die wie Wellenbrecher mein Fortkommen behindern. Möwenbänke, gestylte Citypinguine, Robben, die ihre Paarung vorbereiten. Riffpiraten, die falsche Leuchtfeuer setzen, an Bordsteinkanten gestrandete Havaristen. (Kantaut 2005, Cocktailtrinker … )